Die Entwicklung des Talsperrenbaus in Deutschland
Schon vor Jahrtausenden bauten Menschen Dämme, um Wasser aufzustauen und es als Trinkwasser, zur Bewässerung von Feldern oder auch zum Betreiben von Wasserrädern nutzbar zu machen. Hierzulande sind erste Talsperren ab Ende des 8. Jahrhunderts belegt, doch erst mit dem Beginn des Erzbergbaus im Harz und im Erzgebirge gewann der Talsperrenbau in Deutschland eine größere Bedeutung. Die dort bis Ende des 19. Jahrhunderts errichteten Anlagen hatten die Aufgabe, Energie bereit zu stellen, damit mit Hilfe von Wasserrädern das Grubenwasser aus den Bergwerken gehoben und das Erz bearbeitet werden konnte. Viele dieser ersten Talsperren sind heute als Kulturdenkmal erhalten. Sie hatten in der Regel Dämme aus im Stauraum gewonnenem Steinbruchmaterial, in die für die Dichtung so genannter Rasensoden eingearbeitet wurde. Der Rasen wurde in Rechteckform ausgeschnitten und dann wie Mauerwerk aufeinander gesetzt. Die Anordnung der Dichtung erfolgte bei den älteren Dämmen als Schürzendichtung an der wasserseitigen Böschung, später als Kerndichtung in der Dammmitte.
Mit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert brach auch für den Talsperrenbau ein neues Zeitalter an. Die vornehmlich in den westfälischen Mittelgebirgen ansässige Kleinindustrie, die ihre Hammerwerke, Schmieden und Drahtziehereien traditionell mit Wasserkraft betrieb, geriet zunehmend in Konkurrenz zu den neuen Großbetrieben an der unteren Ruhr, die ihre Energie aus Steinkohle gewannen. Unter dem Zwang, die preiswertere Energie des Wassers ständig sicher verfügbar zu haben, entstanden zwischen 1889 und 1925 in Deutschland über 30 Talsperren, die von Gewichtsstaumauern aus Bruchsteinen nach dem damals hochmodernen „Intze-Prinzip“ (benannt nach dem Aachener Talsperrenpionier Otto Intze) eingestaut wurden.
Talsperrenbau an der Ruhr
An der Ruhr war es vor allem der 1899 gegründete Ruhrtalsperrenverein, der die Entwicklung der Flussbewirtschaftung mithilfe von Talsperren maßgeblich vorantrieb. Er unterstützte in der Anfangsphase den Bau kleinerer Talsperren wie etwa der Fürwiggetalsperre und der Ennepetalsperre und baute schließlich mit der Möhnetalsperre seine erste eigene Talsperre – damals die größte ihrer Art in Europa.
Die Talsperren brachten die dringend notwendige Entlastung für die zu diesem Zeitpunkt völlig überforderte Ruhr, die durch die Industrielle Revolution zu einem Spielball widerstreitender Interessen geworden war. Kraft- und Triebwerksbesitzer benötigten die Wasserkraft des Flusses zum Antrieb ihrer Turbinen. Wasserwerksbesitzer zapften aus dem Fluss Trinkwasser ab und exportierten es zu allem Überfluss in die Einzugsgebiete anderer Flüsse, die als Trinkwasserspender nicht geeignet waren. Und die explosionsartig zunehmende Bevölkerung sowie die wachsende Industrie (miss-)brauchten den Fluss zum Abtransport des Abwassers – so, wie es die Menschen der vorindustrialisierten Zeit seit Jahrhunderten gewohnt waren. Vor allem in Trockenjahren nahm die Wasserknappheit und -verschmutzung so dramatische Ausmaße an, dass die Ruhr in ihrem Unterlauf zu einem brackigen Rinnsal wurde, das man zu Fuß durchqueren konnte.
Von der Mauer zum Damm
Obwohl die schlanken, bogenförmigen Bruchsteinmauern nach dem Intze-Prinzip bis heute das Bild einer „typischen“ Talsperre prägen, setzte sich bereits in den 1920er-Jahren – ausgehend von Nordamerika – die Dammbauweise durch. Sie konnten dank neuer Entwicklungen in der Maschinentechnik nun auch bei größeren Bauwerken zum Einsatz kommen und war gegenüber einer Bruchsteinmauer kostengünstiger, weil minderwertigeres Steinmaterial verwendet werden konnte. Allerdings vertraute man trotz jahrhundertelanger Erfahrung an kleinen Talsperren der Erdbautechnik nicht uneingeschränkt, wenn es um Absperrbauwerke mit einer Höhe von 50 Metern oder mehr ging. Die ersten großen Dämme erhielten daher, wie etwa die Sorpe- und die Versetalsperre, eine Betonkerndichtung.
Der nächste Entwicklungsschritt im Talsperrenbau kam mit der Asphalttechnologie, die in den 1950er-Jahren im Straßenbau Fuß fasste: Die Dichtung des Damms war nun eine doppelt aufgetragene Oberfläche aus Asphaltbeton. Erstmals im Ruhreinzugsgebiet zum Einsatz kam diese Bauweise beim Neubau der Hennetalsperre in den Jahren 1951 bis 1955. Auch die Biggetalsperre wurde Anfang der 1960er-Jahre in dieser Bauweise errichtet. Ihre Oberflächendichtung ist mit 46.000 Quadratmetern die bis heute größte ihrer Art in Deutschland.