Die Entwicklung der Abwasserreinigung

Wo Menschen leben, entsteht Abwasser. Schon die Hochkulturen im vorderen Orient und in China befassten sich daher mit dem Problem der Abwasserbeseitigung und bauten Entwässerungsanlagen, um das schmutzige Wasser aus ihren Städten zu leiten. Mit dem Bau des ausgedehnten Kanalisationssystems im alten Rom, dessen zentrales Element die Cloaca maxima aus dem 5. Jahrhundert v. Chr. bildete, erreichte die Abwasserentsorgung im Altertum ihren Höhepunkt. Mit dem Untergang des Römischen Reichs ging dieses Wissen jedoch verloren. Im Mittelalter versanken die Städte buchstäblich im Kot. Die weitverbreitete Praxis, den häuslichen Unrat einfach in der Gosse zu entsorgen, führte wiederholt zu schweren Epidemien. Im 19. Jahrhundert verschärfte die industrielle Revolution das Abwasserproblem – nicht nur, weil die explosionsartig anwachsenden Städte bisher ungeahnte Abwassermengen produzierten, sondern auch, weil dieses Abwasser erstmals in der Menschheitsgeschichte in großem Maß auch giftige Rückstände aus industriellen Prozessen enthielt. Im Ballungsraum Ruhrgebiet führten diese existenziellen Probleme beispielsweise 1913 zur Gründung des Ruhrverbands.

In England, dem Mutterland der Industrialisierung, wurde bereits 1876 mit dem Rivers Pollution Prevention Act das erste zusammenhängende Gesetzeswerk zur Abwasserreinigung geschaffen. Zu Beginn wurden natürliche Verrieselungsverfahren bevorzugt, die später zu den künstlichen biologischen Verfahren weiterentwickelt wurden. Bei der Verrieselung stand dabei auch der Gedanke einer Düngung der Böden im Vordergrund. Die bewusste Ausnutzung der Selbstreinigungskräfte der Gewässer zählte ebenso zu den natürlichen Verfahren. So nannte man in Nordamerika die Abwassereinleitung in ein Gewässer „Reinigung durch Verdünnung“.

Mechanische Reinigungsverfahren

Um die Wende zum 20. Jahrhundert entwickelte sich die mechanische Abwasserreinigung, die sich vor allem in Deutschland durchsetzte. Hauptziel hierbei war eine ästhetische Reinigung des Abwassers vor dessen Einleitung in ein Gewässer. Zu den mechanischen Verfahren zählt der Einsatz von Rechen, die nach dem Prinzip eines Siebs bzw. einer Harke funktionieren und grobe Schmutzstoffe aus dem Wasser entfernen.

Ein weiteres mechanisches Verfahren ist der Einsatz von Sandfängen, um die besonders bei Regen mitgeführten mineralischen Stoffe abzufangen. Die ältesten Sandfangkonstruktionen waren einfache rechteckige oder runde Vertiefungen, die meist mit einem starken Sohlgefälle ausgestattet waren, was die Ausräumung der Sinkstoffe (zuerst manuell mit Gefäßen, später mit Laufkränen oder Greifbaggern) erleichterte. Der Essener (Lang-)Sandfang ist eine Weiterentwicklung der ersten Beckenanlagen. Hier wird der Absetzvorgang mit einer Verringerung der Fließgeschwindigkeit durch eine Erweiterung des Querschnittes der Absetzrinne erzielt. Das Konzept des Tiefsandfangs mit vertikalem Durchfluss wurde in den 1930er-Jahren entwickelt. Aufgrund der mangelhaften Rückhaltung von Feinsand werden Tiefsandfänge heute nicht mehr eingesetzt. Relativ neu ist der belüftete Sandfang, der um etwa 1950 bis 1960 entwickelt wurde.

Absetzbecken, in denen die Fließgeschwindigkeit so weit reduziert wird, dass sich Schwebstoffe am Boden absetzen können, waren schon bei den alten Kulturvölkern bekannt. In England wurden seit 1850 rechteckige Absetzbecken intermittierend betrieben, d. h. zur Schlammausräumung musste der Abwasserzufluss gestoppt werden. Im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts stellten Untersuchungen, wie sich Schlammmenge und -zusammensetzung mit der Durchflussgeschwindigkeit ändern, das Absetzverfahren auf eine wissenschaftliche Grundlage. Als Folge dieser Untersuchungen konnten die Abmessungen für Absetzbecken drastisch reduziert werden. Die Erfindung der sogenannten Fidlerschen Spirale, eines Schlammkratzers für kreisförmige Becken, markierte den Beginn der Entwicklung verschiedener Räumgeräte zum Entfernen des Schlamms.

Ein ganz anderer Ansatz wurde ab etwa 1880 mit Klärbrunnen wie dem so genannten Dortmundbrunnen verfolgt. Sie wurden mit dem Ziel eines kontinuierlichen Abwasserzuflusses konstruiert, zur Schlammausräumung musste das Becken also nicht geleert werden. Eine Weiterentwicklung der Brunnen sind die Trichterbecken, die ebenfalls vertikal durchströmt werden. Die Trichterbecken eignen sich gut für die Klärung von Flockenschlämmen, also bei Fällungsverfahren, oder für die Nachreinigung bei biologischen Reinigungsstufen. In diesen Prozessen werden ähnliche Konstruktionen bis heute eingesetzt.

Da Absetzbecken und Klärbrunnen mit hohen Gründungskosten tief in die Erde hineingebaut werden müssen, wurde Anfang des 20. Jahrhunderts auch mit oberirdischen Klärtürmen und Klärkesseln experimentiert.

Ein Problem, mit dem sich die Pioniere der Abwasserreinigung auseinandersetzen mussten, waren die im Schlamm einsetzenden Faulungsprozesse, da sie die weitere Absetzung und eine eventuell nachgeschaltete biologische Reinigung erschweren. Der amerikanische Chemiker Clark entwickelte daher den Gedanken, Absetz- und Faulprozess räumlich zu trennen. 1903 wurde die Idee im sogenannten Travisbecken erstmals in Ansätzen realisiert, und 1906 gelang es Karl Imhoff, beide Prozesse tatsächlich getrennt in einem zweistöckigen Bauwerk ablaufen zu lassen. Das von ihm konstruierte Becken wurde erstmals von der Emschergenossenschaft eingesetzt und daher in der Folgezeit landläufig als „Emscherbrunnen“ bekannt. Dank ihrer einfachen Konstruktion und des günstigen Betriebs kamen die Emscherbrunnen bald flächendeckend zum Einsatz.

Biologische  Reinigungsverfahren

Am Anfang der biologischen Abwasserreinigung standen natürliche Verfahren wie die Landbehandlung, also das weiträumige Aufbringen auf landwirtschaftlichen Flächen, oder das Auffangen in Abwasserteichen. Diese Reinigungsverfahren verfolgten neben dem Zweck der Abwasserreinigung häufig auch noch wirtschaftliche Ziele. Man wollte die Nährstoffe des Abwassers für die Landwirtschaft nutzbar machen oder die in den Abwasserfischteichen lebenden Fische verkaufen.

 

Im Lauf der Zeit entstanden aus diesen natürlichen Verfahren künstliche biologische Verfahren wie Tropfkörper, Tauchkörper und schließlich das Belebtschlammverfahren. Diese Weiterentwicklung der natürlichen biologischen Prozesse war notwendig, da in den Ballungsräumen bald nicht mehr genügend Freiflächen vorhanden waren, um die flächenintensiven Rieselfelder oder Abwasserteiche anzulegen.

Das Belebtschlammverfahren wurde 1912 in Boston entwickelt. Es ahmte die im Fluss ablaufenden Vorgänge der biologischen Selbstreinigung am stärksten nach. Im sogenannten belebten Schlamm wurden die Organismen, die auch in der Natur für die Reinigung verantwortlich sind, angereichert. Um einen Mangel an Sauerstoff zu verhindern, musste ständig Luft eingeblasen werden. Die Reinigungsleistung des Belebtschlammverfahrens war im Vergleich zu den anderen biologischen Verfahren recht hoch.

Die erste biologische Kläranlage auf dem europäischen Kontinent, die nach dem Belebtschlammverfahren arbeitete, war die Kläranlage Essen-Rellinghausen. Karl Imhoff brachte hier dieses neue Verfahren zur Anwendungsreife.

Die Kläranlage Rellinghausen war 1912 von der Stadt Essen gebaut und 1914 vom Ruhrverband übernommen worden. Ursprünglich erfolgte die Reinigung auf der für 22.000 Einwohner ausgelegten Anlage mit Emscherbrunnen. Deren Reinigungsleistung reichte jedoch bereits Anfang der 1920er-Jahre nicht mehr aus, da das in Rellinghausen gereinigte Wasser in der Nähe des städtischen Wassergewinnungsgeländes in die Ruhr eingeleitet wurde. Im Mai 1925 begannen daher die Bauarbeiten für eine große Schlammbelebungsanlage. Die neue Anlage war für 45.000 Einwohner ausgelegt, also mehr als doppelt so groß wie die ursprüngliche Emscherbrunnen-Anlage. Zudem wurde wegen der Grubenwässer des Bergbaus das Vierfache des damals üblichen Abwasseranfalls veranschlagt, nämlich 600 Liter pro Einwohner und Tag. Im Dezember 1925 ging die erste Belebtschlammkläranlage auf dem europäischen Festland in Betrieb. Sie wurde im Jahr 2005 nach der Fertigstellung der Kläranlage Essen-Süd stillgelegt.

Chemische Abwasserreinigung durch Fällung

Die Verfahren der chemischen Fällung gehören zu den ältesten Verfahren in der Abwasserreinigung. 1872 gab es in Birmingham die erste Anlage, in der Abwasser mit Kalk gereinigt wurde. Die chemische Fällung erlebte ihre Blütezeit zwischen 1880 und 1890 in England, wo es rund 200 Anlagen dieser Art gab, und in Amerika. Bei der chemischen Fällung wurden die gelösten Stoffe mittels Zugabe chemischer Verbindungen ausgefällt und in Absetzbecken mit dem Schlamm entfernt. Meist wurden Kalk, Aluminium- und Eisensalze benutzt. Da die Verfahren jedoch mit einigen Schwierigkeiten und hohen Kosten verbunden waren, wurden sie ab 1890 fast völlig von den biologischen Verfahren verdrängt.

Heute werden chemische Verfahren überwiegend nur noch zur Entfernung von Phosphatverbindungen genutzt, wie sie bspw. in Waschmitteln zu finden sind.

Verfahren zur Schlammbehandlung

Ganz gleich ob mechanisch, biologisch oder chemisch: Bei jeder Form der Abwasserreinigung fällt Schlamm an, der behandelt und entsorgt werden muss.

Erste Formen der Schlammbehandlung bestanden in der Anlegung von Schlammteichen und Schlammgräben. Die frisch ausgehobenen Schlammgräben wurden mit flüssigem Schlamm gefüllt und danach wieder mit Erde bedeckt. Der Schlamm konnte entwässern und wurde von Bodenorganismen abgebaut. Bei ausgefaultem Schlamm konnte auf die Überdeckung verzichtet und die Beschickung beschleunigt werden.

Während die Schlammgräben vor allem für Rechengutanfall Verwendung fanden, wurde der Feinschlamm der Absetzbecken hauptsächlich in Schlammteichen entsorgt. Dies waren natürliche oder künstliche Erdbecken, in die der flüssige Schlamm gepumpt wurde, um ihn trocknen und ausfaulen zu lassen. Der Nachteil von Teichen und Gräben bestand im großen Raumbedarf und der großen Geruchsbelästigung.

Um das Problem der Geruchsbelästigung durch nassen, nicht ausgefaulten Klärschlamm in Griff zu bekommen, wurden verschiedene Verfahren der Schlammentwässerung entwickelt. Daher wurden schon um 1880 Filterpressen eingesetzt, die dem Schlamm mittels starker Druckeinwirkung das Wasser entzogen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Verfahren zur Verbesserung der Entwässerungseigenschaften weiterentwickelt. Die Schlammeindickung bewirkte eine Erhöhung des Feststoffgehalts durch statische Eindickung oder maschinelle Zentrifugeneindickung. Die Schlammkonditionierung sollte die Entwässerungseigenschaften des Schlammes durch Zugabe von Fällungs- und Flockungsmitteln oder durch Wärmebehandlung verbessern. Mit der heute noch überall weit sichtbaren Schlammstabilisierung in großen eiförmigen Faultürmen werden vor allem organische Schlamminhaltsstoffe und geruchsbildende Inhaltsstoffe abgebaut und der Schlamm in seinen hygienischen Eigenschaften verbessert.