Die Entstehung des Ruhrverbands
Von der dünn besiedelten Agrarregion zum größten Ballungszentrum Europas: Wohl keine andere Region hat durch die Industrialisierung in so kurzer Zeit derart tief greifende Veränderungen erfahren wie das Ruhrgebiet. Neue Verfahrenstechniken im Steinkohleabbau und in der Eisenverhüttung führten Mitte des 19. Jahrhunderts zu einer rasanten Entwicklung der Kohle- und Stahlindustrie. Immer neue Zechen, Kokereien und Stahlwerke entstanden im Herzen des rheinisch-westfälischen Industriegebiets und lockten immer mehr Arbeitskräfte an. Die Bevölkerungszahlen nahmen explosionsartig zu, Dörfer und Landgemeinden wuchsen in wenigen Jahrzehnten zu Großstädten mit mehreren hunderttausend Einwohnern an.
Und alle Zechen und Industriebetriebe, alle ins Ruhrgebiet strömenden Menschen brauchten Wasser, immer mehr Wasser. Das althergebrachte System der Wasserversorgung aus Brunnen reichte binnen kürzester Zeit bei weitem nicht mehr aus, um den Bedarf zu decken. Die Ruhr, obwohl von ihrer Länge und ihrem Abfluss her ein vergleichsweise kleiner Fluss, war und ist der einzige geeignete Hauptlieferant von Trink- und Brauchwasser – was immer wieder zu gefährlicher Wasserknappheit führte. Vor allem in den Großstädten des unteren Ruhrtals kam in heißen Sommern fast gar kein Wasser mehr an, weil die Wasserwerke in den oberhalb gelegenen Flussabschnitten bereits große Mengen entnommen und überwiegend in andere Flussgebiete exportiert hatten. Zu den Leidtragenden dieses schädlichen Entzugs gehörten unter anderem die Triebwerksbesitzer an der unteren Ruhr, denen der „Treibstoff“ ihrer Turbinen mehr und mehr genommen wurde.
Vor diesem Hintergrund erfolgte im Jahr 1899 die Gründung des Ruhrtalsperrenvereins, eines freiwilligen Zusammenschlusses der Wasser- und Triebwerke auf privatrechtlicher Grundlage. Bereits fünf Jahre nach Gründung des Ruhrtalsperrenvereins konnten vier Talsperren mit einem Gesamtstauraum von mehr als 16 Millionen Kubikmetern für die Niedrigwasseranreicherung der Ruhr in Trockenzeiten in Betrieb genommen werden.
Trotzdem kam es in den Folgejahren immer wieder zu gefährlichen Versorgungsengpässen und 1911 schließlich zum Kollaps des Systems: Wochenlange Hitze und Trockenheit, gepaart mit einem hohen Entnahmegrad durch die Wasserwerke und der damals üblichen Ableitung ungeklärter Haushalts- und Industrieabwässer in den Fluss, ließen die Ruhr in ihrem Unterlauf zu einer öligen schwarzbraunen Brühe werden. In Mülheim brach eine Typhusepidemie aus, bei der 1.500 Menschen erkrankten, und schließlich brachte der Wassermangel sogar die Industrieproduktion an der unteren Ruhr zum Erliegen.
Es war diese Extremsituation, die den Durchbruch brachte: 1913 begründete ein preußisches Sondergesetz den Ruhrverband als öffentlich-rechtlichen Wasserverband mit der Aufgabe, Kläranlagen zur Reinhaltung der Ruhr zu betreiben, und verlieh zugleich auch dem bisher privatrechtlich organisierten Ruhrtalsperrenverein einen öffentlich-rechtlichen Status. Mitglieder der Verbände wurden per Gesetz alle Nutzer der Ruhr, also die ganz oder teilweise im Verbandsgebiet liegenden Kommunen und Kreise sowie Industrie- und Gewerbebetriebe, die in großen Mengen Abwasser ableiten, Unternehmen der öffentlichen Wasserversorgung und Triebwerksbetreiber. Eine mutige und für die damalige Zeit absolut zukunftsweisende Entscheidung, die es Ruhrverband und Ruhrtalsperrenverein erlaubte, das gesamte Flussgebiet der Ruhr unabhängig von administrativen Grenzen, politischen Gemengelagen und wirtschaftlichen Einzelinteressen als Einheit zu bewirtschaften.
Und auch wenn bis zur Fertigstellung der Biggetalsperre im Jahr 1965 noch einige kleinere Versorgungsengpässe in heißen Sommern auftraten – der Konflikt zwischen Ober- und Unterliegern um die Nutzung und die Qualität des Ruhrwassers gehörte endgültig der Vergangenheit an. Am 1. Juli 1990 wurden der Ruhrtalsperrenverein und der Ruhrverband zu einem Wasserwirtschaftsverband vereinigt, der den Namen Ruhrverband trägt. Er nimmt im Rahmen des Flussgebietsmanagements sowohl die Aufgaben der Wassermengen- als auch der Wassergütewirtschaft wahr.